Gesundheit im Wandel - Impulstag 14. Oktober 2012

Nachlese zur Veranstaltung am 14. Oktober 2012 mit dem Gastreferenten Dr. Ellis Huber

Als sozial und kulturell engagierte Bürgerin einerseits, als professionelle Begleiterin von Menschen in persönlichen Entwicklungsprozessen anderseits, beschäftigt mich schon lange die Frage: Wie finden die Erkenntnisse, die Menschen in der Arbeit an sich selbst gewinnen, Resonanz im alltäglichen Leben. Fühlen sich Menschen in ihren alltäglichen Strukturen, in der Familie, im Stadtteil, am Arbeitsplatz, in der Schule, der Uni mit ihren Bedürfnissen und ihrem persönlichen Einsatz wahrgenommen und gewürdigt? Wie gestalten Menschen und Organisationen ihre Stadt bzw. die Region, in der sie leben? Wie atmet meine Stadt, wie schlägt ihr Herz? Wie greifen die großen Steuerungssysteme mit den einzelnen Zellen dieses Organismus zusammen und in welchem Milieu bewegt sich all das? Was hält uns gesund? Wie soll eine Gesundheitskultur der Zukunft aussehen?

Anhand der klassischen Fragen des Konzeptes der Salutogenese: Verstehe ich, was in meinem Umfeld geschieht bzw. welche Entscheidungen hier getroffen werden? Kann ich (darauf) Einfluss nehmen? Macht es Sinn (für mich)? könnte die Gesundheit des städtischen Organismus und unserer Region betrachtet und auch Lösungen gefunden werden.

Stadt im Wandel

Eine große Anzahl von Initiativen und engagierten Einzelpersonen ist im Freiburger Raum aktiv, um Antworten auf die Fragen der Zeit zu finden, Lösungsansätze zu formulieren und zu leben. Seit einiger Zeit gibt es hier in unserer Region die Vernetzungsinitiative „Freiburg im Wandel“. In diesem Umfeld treffe ich auf Mitstreiterinnen in Bezug auf meine eigenen Überlegungen: Was braucht eine Stadt, eine Region, um gesunde Entwicklungen für ALLE Menschen und für die Umwelt anzuregen, zu entwickeln und nachhaltig zu etablieren?

Die Suche nach Antworten hatte uns – fünf Frauen, allesamt im Gesundheitsbereich tätig – zusammengeführt. Im Mai 2012 beschließen wir als neu gegründete Initiativgruppe „Gesundheit im Wandel“, dass wir zum Herbst (direkt im Anschluss an die Vernetzungskonferenz „Freiburg im Wandel“ ) eine Impulsveranstaltung zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Gesundheitskultur in Freiburg und der Region“ organisieren wollen. Ein Impulsreferat zu diesem Thema würde Dr. Ellis Huber halten.

Unsere Ausgangsüberlegungen

Die bestehenden Gesellschaftsstrukturen und das derzeitige Gesundheitssystem bilden nicht den geeigneten Rahmen, um das Ziel der Ottawas Charta von 1986 „Gesundheit für Alle“ erreichen zu können. Gesundheit entsteht im alltäglichen Leben durch ein komplexes Zusammenwirken vieler verschiedener Faktoren. Dabei geht es um weit mehr als eine rein medizinische Versorgung. Eine nachhaltige Gesundheitskultur stellt den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt allen Handelns. Davon sind wir derzeit weit entfernt. Finanzielle Interessen bestimmen weitgehend, was im Gesundheitswesen wie auch in allen anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens als relevant und unterstützenwert angesehen wird. Immer mehr Menschen können sich aufgrund ihrer finanziellen Situation den „Luxus“ einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung nicht (mehr) leisten und sind von einer aktiven Teilhabe am  kulturellen Leben ausgeschlossen. Die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen und Erschöpfungszuständen nimmt dramatisch zu, das betrifft Menschen aus allen sozialen Schichten. Dieses wird auch in einer „grünen Vorzeigestadt“ wie Freiburg immer deutlicher spürbar.

Unser Ziel > Einen Dialog eröffnen, Bewusstseinsprozesse anregen

Ziel unserer Initiative soll sein, mit dieser Veranstaltung ein informelles Forum für einen Dialog zu eröffnen. Dabei einigen wir uns auf folgende Fragestellungen:

+ Was fördert Gesundheit im umfassenden Sinne?

+ Was können Bürgerinnen und Bürger aktiv beitragen, um gesundheitsfördernde Bedingungen in ihrem Lebensumfeld, am Arbeitsplatz und im Stadtteil zu erzeugen?

+Welche Rahmenbedingungen sollten Politik und Verwaltung dafür bereitstellen?

Eine Stichwortsammlung zu den Fragen macht schnell die Komplexität des Themas deutlich. Es  zeigt sich, wie viel Potential zur Förderung und Entstehung von Gesundheit zwar vorhanden ist, welches  aber wenig sinnvoll genutzt wird.

Was ist gesundheitsrelevant - hier unsere vorläufige, sicher nicht vollständige, Auflistung

Entschleunigung – Wertschätzung -  Empathie - soziales Miteinander – Lebenskunst - Kultur und Kreativität – Spiritualität – Gesundheitsfördernde, ganzheitliche Angebote und medizinische Versorgung vernetzen - Mehr fair entlohnte! Zeit für PatientInnen - Freie Wahlmöglichkeit in Bezug auf Therapien  -  Bildung, die Gesundheit fördert - Lebensraum zum Wohlfühlen für Familien, für Alt und Jung – Mitbestimmung ermöglichen - Gesunder Stadtteil -  Aktive Nachbarschaft - Gemeinschaft – Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen - Gesundheit für arm und reich braucht ausreichendes Einkommen für alle – Bedingungsloses Grundeinkommen - Gemeinwohlorientierte Wirtschaftsformen – Regiogeld und Tauschringe – Gesundheit stärkende Bedingungen im beruflichen Alltag schaffen – Gesundheit fördern in  Schule, Hochschule und Ausbildungsstätten -  Beruf, Berufung, Selbstverwirklichung -  regionale Nahrungsmittelerzeugung - Solidarische Landwirtschaft  -   Grüne, „essbare“ Stadt  - nachhaltige Technologien – Umweltbewusstsein

Diese Begriffsammlung diente uns als Basis, um zu überlegen, welche Initiativen, Organisationen und Menschen als Teilnehmende für diesen Impulstag sinnvoll wären. Unser Wunsch: Ein Dialog auf Augenhöhe von Professionellen aus dem Gesundheitsbereich, engagierten Bürgerinnen und Bürgern, Verantwortlichen aus der Politik, Selbsthilfegruppen, Umweltaktiven.

Über den Tellerrand schauen – leben und lernen in Systemen oder: Wie verbreiten wir das Gesundheitsvirus? 

Eine spannende Phase setzt ein, als wir mit der Öffentlichkeitsarbeit und der Einladung zu diesem Impulstag in unseren jeweiligen Netzwerken beginnen. Wer gestaltet diesen Impulstag mit uns, bringt Ideen ein und ist bereit, über den Tellerrand der eigenen Methoden und Interessen zu schauen, um neue Ideen zu entwickeln, Synergien zu erzeugen und Visionen für eine gesunde Region zu entwickeln. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, das Thema „Gesundes Freiburg“ schlüssig zu vermitteln.

Denn: Beim Thema Gesundheit denken viele Menschen zunächst an Krankheit und an deren mögliche Heilung durch Professionelle, d.h. durch ÄrztInnen und sonstige therapeutisch tätige Menschen. Viele Menschen ernähren sich zwar gesund, treiben Sport, bewegen und entspannen sich, gehen zum Yogakurs und nutzen ganzheitliche Heilweisen, arbeiten Konflikte auf, usw. .... aber kaum jemand denkt spontan an die systemisch ineinander greifenden Bedingungen, unter denen Menschen leben, arbeiten, lernen ... und in denen Gesundheit entsteht (oder eben auch Krankheit ...)
Übrigens ist auch der Begriff Salutogenese wenig bekannt – unsere Gruppe beschließt, den Begriff nicht zu verwenden.

Die Durchführung der Veranstaltung am 14. Oktober

Die Resonanz auf unsere Einladung ist eher verhalten und es kommen schlussendlich 45 Menschen zum Impulstag, davon ein guter Teil aus der ohnehin bereits aktiven Szene des Netzwerkes „Freiburg im Wandel“. Und natürlich kommen einige, um den prominenten Referenten Dr. Ellis Huber sprechen zu hören. Ca. 30 Menschen bleiben nach dessen Vortrag, um sich im zweiten Teil der Veranstaltung aktiv einzubringen.

Nach einer persönlichen Vorstellung von uns Initiatorinnen hören wir den Vortrag von Dr. Ellis Huber, der sich einerseits sehr eingehend mit der konkreten Situation vor Ort in Freiburg beschäftigt, aber auch grundlegende Gedankengänge für eine nachhaltige Gesundheitskultur vorstellt, die in der anschließenden Fragerunde lebhaft diskutiert werden.

Im zweiten Teil der Veranstaltung haben wir einen kreativen Prozess vorgesehen und dafür die Methode eines Worldcafes gewählt. Bezugnehmend auf die o.g. drei Fragestellungen wird an sechs Thementischen diskutiert.

+ Einkommen und Gesundheit

+ Leben im Einklang mit der Natur

+ Solidarität im Gesundheitswesen

+ Neue Wohnformen und soziales Miteinander

+ Gesundheitslotsen

+ Gesunder Menschenverstand

Die Auswahl der Themen ergab sich aus den Rückmeldungen der eingeladenen Initiativen und Einzelpersonen. Uns ist bewusst, dass diese Themen nur einen kleinen Teil der gesundheitsrelevanten Faktoren abbilden. Als Einstieg in einen Dialog waren sie für diesen Projekttag gut geeignet. Die Teilnehmenden konnten insgesamt drei mal den Tisch wechseln (wenn sie das wollten) und hatten so die Möglichkeit für eine vielfältige Vernetzung und einen lebendigen Austausch von Ideen.

Nach der Veranstaltung – Wie kann es weitergehen?

Auf die Frage Welche Rahmenbedingungen können Politik und Verwaltung für eine gesunde Stadt bereitstellen ging Dr. Ellis Huber konkret ein. Er machte den Vorschlag, eine Gesundheitskonferenz, wie sie in vielen anderen Städten und Regionen bereits durchgeführt wird, bei der Stadt einzufordern. Dieses ist auch in der Gesundheitsstrategie des Landes BW vorgesehen und es werden Mittel dafür bereitgestellt. Eine Gesundheitskonferenz kann ermitteln, wie gesund eine Stadt ist und in welchen Bereichen Veränderungen bewirkt werden sollten. Dabei kommen Fachleute ebenso wie engagierte Gruppen und Einzelpersonen zu Wort, bündeln ihre Kompetenzen und entwickeln Projekte.

Derzeit bildet sich eine Gruppe, um das Thema Gesundheitskonferenz an die Stadt Freiburg heranzutragen.

Großes Interesse fand auch die Idee der integrierten Versorgung, auf die Dr. Huber in seinem Vortrag hingewiesen hatte. Hier wurde besonders deutlich, um was es bei einer ganzheitlich ausgerichteten Gesundheitsversorgung im Kern ankommt: Flexibilität, gewohnte Pfade verlassen, Neues wagen, Vertrauen aufbauen.


Es entstand weiterhin die Idee eines kollegialen Brainstormings für Selbständige im Gesundheitsbereich, deren Angebote von Krankenkassen nicht finanziert werden. Ziel soll es sein, den Sinn und den Wert dieser Arbeit in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Mein persönliches Fazit: Eine nachhaltige Gesundheitskultur kann sich nur auf einer wertschätzenden Kommunikation und der Bereitschaft zur vertrauensvollen Kooperation entwickeln. Um das zu erreichen, gibt es einen großen Bildungsbedarf.

Text für die Initiativgruppe: Ulrike Fahlbusch, info@ulrike-fahlbusch.de